Der Sinnzusammenhang des titelgebenden Begriffs VERMÖGEN weist weit über die üblichen Zuschreibungen wie Reichtum, Kapital, Besitz oder Macht hinaus. Seine vielfältigen Bedeutungsebenen bergen gesellschaftliche, individuelle und technologische Potentiale in sich, die sich der heute üblichen, kapitalistisch gefärbten Semiotik widersetzen und so neue Zugänge zu aktuellen Problemstellungen eröffnen.
In einer Zeit, in der Daten eine neue Form von Vermögen darstellen (etwa unter den Bedingungen der Black Box, d.h. der proprietären Sammlung und Verwertung von Wissen), stellt sich uns die Frage, wie ein solches Vermögen gemeinschaftlich genutzt werden kann. Der Begriff – sowie sein Gegenteil, das Unvermögen – beschreibt die gesellschaftliche Realität eines dynamischen Kapitalismus ebenso wie das Vermögen der Einzelnen, etwas zu wissen, zu tun, zu unterlassen bzw. zu scheitern. Er bezeichnet damit einen Kreuzungspunkt absoluter Innerlichkeit und radikaler Äußerlichkeit, an dem eine postdigitale Kunst – in ihrer kritischen, politisch und gesellschaftlich informierten Tradition – ansetzt und operiert.
Diese Begriffsvielfalt hat eine lange philosophische Tradition. In seiner klassischen, aristotelischen Version ist Vermögen schlichtweg das, über das jemand oder etwas verfügen muss, um an sich selbst oder einem anderen etwas zu verändern. Zwischen den Philosophien Spinozas und Kants spaltet sich der Begriff in zwei Stränge, die bis heute philosophische Diskurse durchziehen, wie etwa bei Deleuze: Vermögen als immanente Potentialität, deren Möglichkeiten sich durch Teilen vermehren (Spinoza) bzw. als zweckmäßige Moral transzendenter Ordnung, in die sich Individuen einrichten (Kant). Durch seine Aneignung im Liberalismus und Neoliberalismus wird der Begriff zum Derivat von «Kapital», eine Verkürzung seiner ethischen und ästhetischen Potentiale auf nutzenorientierte Belange, die bereits Adam Smiths sozialphilosophische Erörterungen unterminierte und bis heute nachwirkt. Gegen diese semiotische Verstümmelung setzt etwa Bourdieu die Differenzierung in ökonomisches, soziales, kulturelles und symbolisches Kapital. Er verweist damit auf Marx, der Vermögen und Unvermögen als Grundlage für die dialektische Entwicklung einer universellen Individualität im Kapitalismus begreift.
In Ernst Blochs Lesart der aristotelischen „aktiven Potenz“ verbinden sich Potenz – was man tun kann – mit Potentialität – die Gegebenheit einer Situation –, um zu einer „konkreten Utopie“ zu gelangen. Der Begriff verweist auf die Fähigkeit, etwas zu tun bzw. zu denken, inkludiert somit Bildung und Handlung. Was jemand vermag bzw. wir gemeinsam vermögen, demonstriert weitgehend das Zusammenleben in einer Gesellschaft. So können Vermögen und Unvermögen etwa als Parameter für gelebte Formen von Demokratie dienen. Mitsprache- bzw. Entscheidungskompetenzen müssen kontinuierlich entwickelt werden, um Teilhabe mit Leben zu füllen. Vermögen ist somit ein Begriff, der einerseits ein Haben beschreibt, gleichzeitig aber auch ein Werden, in dem Imagination zu (Selbst-)Befähigung und Handlung führt.
Wenn wir also den Begriff für unsere heutige Zeit aktivieren, tritt aus seiner langen philosophischen und ökonomischen Geschichte seine Relevanz als Ausgangspunkt für ein vielfältiges, offenes Wirkungs- und Handlungsvermögen zu Tage. Seine Fülle an Bezügen und seine semantische Tiefe erlauben es uns, neue Entwicklungsverläufe für Kunst, Diskurs und Gesellschaft zu imaginieren. Daher handelt The Future of Demonstration von ästhetische Formaten, die Medien-, Daten- und Biotechnologien neu ausrichten. Die in den Episoden der Season 1 erforschten Bedeutungsebenen lassen damit das Ausdrucks- und Gestaltungsvermögen zeitgenössischer Kunst hinter sich. Ihre Konzepte und Methoden bieten mehr als nur Kritik an heutigen Machtstrukturen. Ihre Intention ist vielmehr die Demonstration gemeinsamer Vermögen, deren Angelpunkt die Befähigung zu wirkungsvollem Widerspruch ist (durchaus auch im institutionellen Sinn).