Das Leitmotiv 2018 PASSION baut auf dem Leitmotiv der Kunstserie 2017 auf und erweitert es. Nach der Beschäftigung mit den VERMÖGEN für eine neue Kultur und Kunst interessiert uns hier die Frage nach dem, was Leidenschaft in einem (bio-)technologischen Zeitalter vollbringen kann, in dem die Strukturen ökologischer wie sozialer Realität durch Informationsasymmetrien rekonfiguriert werden.
Nach Immanuel Kant basiert jedes Vermögen auf dem Erkenntnisvermögen, dem Gefühl der Lust und Unlust und dem Begehrungsvermögen. Somit ist PASSION ein emphatisches Vermögen, das sich selbst gebiert und reproduziert. Wenn Vermögen, wie Pierre Bourdieu sagt, „verinnerlichte Kultur“ ist, dann ist die Frage zentral, wie wir „kulturelles Kapital“ für eine Zeit nach dem Post-Kapitalismus zu kollektiven Vermögen verwandeln.
Hier spielt der auf Immanenz basierende Begriff der Passion eine wichtige Rolle: als Motivation zum Gestalten, als Intuition, die Horizonte überschreitet, als Verlangen nach Selbstverwirklichung, durch die sich dieses Selbst verwandelt, und als Kraft, die uns in der Lage versetzt, die Ichbezogenheit zu überwinden, die den Kern kapitalistischer Wert-Schätzung bildet.
Wir betrachten Passion als Katalysator für eine Metamorphose, die das Regime des Eigeninteresses in ein neues Verlangen verwandeln kann, in eine Sehnsucht nach der Reziprozität von Geben und Nehmen, die auf der Erkenntnis beruht, dass alles mit allem verbunden ist. Passion durchdringt jegliche altruistische Hinwendung und damit die Idee der Commons.
Diese affirmative und ‚sympathische' Kommunikation verstehen wir nicht als nur menschliche Regung, sie betrifft ebenso nichtmenschliche Wesen und Dinge. Dies ist ein essentielles Vermögen, denn hier entstehen neue „Sympathien“, neue Formen affektiver Nähe. Und es stellt sich die Frage nach den darin angelegten Potentialen für eine Reziprozität, in der sich Wesen und Technologien verweben.
Aber auch die Frage nach Distanz bzw. nach Annäherung, für die etwa der Begriff „Singularität“ steht, wird hier aufgeworfen. Im Westen herrscht Distanzierung vor – der Versuch, was näher rückt, fernzuhalten, ist eine Pathologie auf dem Vormarsch und ein echtes Hindernis für jeden Ansatz von "worlding". In manchen asiatischen Kulturen etwa existiert Distanz zu nichtmenschlichen Wesen und zu Artifizialität so nicht: es wird ihnen Leben zugeschrieben bzw. haben sie wie der Mensch Anteil an „Buddha-Natur“ .
Ein derart erweiterter Begriff von Empfinden und Verbundenheit ist dem westlichen Denken jedoch nicht völlig fremd, er bestimmt beispielsweise Alfred North Whiteheads Prozessphilosophie. Wenn wir von einer kommunizierenden Teilhabe ausgehen, die uns nicht nur mit Menschen, sondern auch mit nichtmenschlichen Wesen verbindet, dann wäre eine solche „Magie“ nichts anderes als die Fähigkeit, sich selbst im Anderen zu sehen, sich selbst mit Anderen neu zu erschaffen.
Vor dem Hintergrund einer in naher Zukunft biotechnologisch veränderten Lebenswelt, in der das „Selbst“ und die „Andere“ in immer komplexer verwobenen Differenzierungen gestaltet werden – und bis zur Unkenntlichkeit der Differenz –, wird diese Magie zum Medium. Sie wird zu Nährlösung, Intelligenz und Kommunikationsmittel all jener, die sich selbst im Anderen erkennen: eine non-humane PASSION, in der wir uns gegenseitig anerkennen, austauschen und geistig wie körperlich infizieren.
Die Beschäftigung mit dieser konkreten Utopie kann aber nur auf Basis einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Status Quo erfolgen. Denn es geht ein Riss durch die Informationsmatrix. Wissen – ja, Wahrnehmung insgesamt – wird als Wettbewerbsvorteil ausgebeutet, Informationsasymetrien – ein Begriff, der auf Spaltung, Diskriminierung und Täuschung hinausläuft – bestimmen zunehmend politische und kapitalistische Netzwerke bzw. Interessen – noise is the master of information.
The Future of Demonstration setzt sich mit den Gewaltformen einer hyperkompetitiven Gesellschaft auseinander und geht gegen fabrizierte Unvermögen vor. Passion verweist hier auf das Leid(en), das durch die Aushöhlung demokratischer Rechte, die Auflösung von Handlungspotentialen und die Volatilität prekärer Lebensbedingungen auftritt.
Renegade Activism ist der Ausdruck, den wir für Handlungen verwenden, die über reine Kritik hinausgehen und neue Formen konkreter Widerständigkeit realisieren. Anstatt passiv als Kollateralschäden systemimmanenter Risiken zu enden, wollen wir Risiko als Wagnis aktiv besetzen. Wir wollen den prekären Zustand des "being at risk" – der reinen Negativität des neoliberalen self-interest – zu einem positiven Begriff von "shared risk" verwandeln und technokulturelle Infrastrukturen und Handlungsfelder entwerfen, die die hegemoniale Ordnung subversiv unterlaufen.
Wie stellt sich also eine auf PASSION beruhende Zwischenmenschlichkeit dar, die Zwischendinglichkeit in ihren Manifestationen mitdenkt, mitfühlt und mitagieren lässt? Und die uns gleichzeitig gegen die allgegenwärtigen Formen von noise zumindest teilweise immunisiert? Welche Strategien und Methoden können für eine künstlerische, philosophische und soziale Annäherung von humanen und non-humanen Wesen entwickelt und demonstriert werden? Wie können sie gemeinsam als Mediatoren, Moderatoren und Produzenten zu einer solcherart erweiterten Gemeinschaft beitragen, anstatt antiquierten Machtphantasien in Politik und Ökonomie zu dienen? Und wie kann ein derart erweiterter Begriff von Liebe und Empathie gegen eine von zukunftsorientierten Erwartungen geprägte Ökonomie derivativer Beziehungen verwirklicht werden?
Dieser konkreten Utopie widmet sich Season 2 Passion. Denn nur die passionierte Hingabe an unser Vermögen, solche Gemeinschaften zu imaginieren, ersinnt sich den Weg dorthin.